alle jahre wieder: über journalistische ausgewogenheit

moin moin, heute: ein paar worte zum aktuellen fußballgeschehen. und es muss leider wieder mal ein kleiner beitrag zum thema journalistische ausgewogenheit werden…

„woher kommt das leistungsgefälle gegenüber dem bayern-spiel?“, geht mr. jan henkel nach dem gestrigen auftritt der marcel raducanu-traditionself gegen polnische freizeitkicker aufs ganze.

http://www.sky.de/programm-entdecken/mediathek/videos-socialmedia/5221202133001

hmm, lieber, kluger fragesteller, wenn man vom gegner 65 minuten kontrolliert, um nicht zu sagen beherrscht wird, war das bis dato letzte bundesligaspiel des bvb vielleicht doch gar nicht so überragend, erst recht nicht dominant wie in den folgenden analysen kompetenter menschen kolportiert. der überhöhung wohnt selten wahrheit inne, sie mag als legitimes mittel hin und wieder auf wahrheit verweisen können, die ultimative wahrheit ist sie nie! und zusammenfassungen von spielen, insbesondere bei den öffentlich-rechtlichen ausspielkanälen, sind in einer klaren tendenz nichts anderes als eine populistische verdrehung von wahrheiten, auch in vermeintlich normalen bundesligaspielen. beispiele? beispiele! bitte gerne nachprüfen!

beispiel 1, werder – eintracht: die ard verkauft das spiel als glücklichen sieg der eintracht, weil das tor spät fiel.
wahrheit ist: dieses tor war logische folge einer spielerisch-taktischen frankfurter dominanz über weite strecken und sicher nicht glücklich. in bremen führt nico kovac ein klares taktisches (auswärts-)konzept fort, das seine mannschaft bereits seit wochen zu einer der effizientesten in der liga macht. so wird es wieder europa für frankfurt und bremen ist nicht konstant.

beispiel 2, hoffenheim – hsv: im kommentar wird der punkt für den hsv als „sehr verdient“ beschrieben, bereits die eigene zusammenfassung konterkariert diese einschätzung mit hochkarätigen chancen für die tsg am fließband.
wahrheit ist: hoffenheim war in allen belangen überlegen und hat mit größtmöglichem pech einen sieg verschenkt. der hsv hat sich verbessert gezeigt, ist in dieser verfassung aber ein klarer abstiegskandidat, vor allem wenn man sieht, was die zweitligaspitzenmannschaften so spielen.

beispiel 3, leverkusen – leipzig: der auferstehung von rasenballsport leipzig (großer respekt für die leistung in den vergangenen jahren!) in diesem spiel gilt der fokus eines rückblicks im aktuellen sportstudio des zdf, der die sehr guten leistungen von leipzig völlig überhöht und am ende von einem verdienten auswärtssieg spricht.
wahrheit ist: leverkusen muss sich farbig ärgern über den spielverlauf und die niederlage. der verdienten führung folgte ein eigentor zum ausgleich. nach überlegenem spiel über weite phasen bis zur 60. minute (danach war red bull gefährlicher, weil leverkusen die defensive ordnung auflöste) führte ein verschossener elfmeter eben nicht zum vorentscheidenden 3:1, sondern, im gegenteil, ein massiver torwartfehler von leno zum ausgleich. der sieg von rb leipzig in leverkusen? reines glück, wenn auch im kontext harter arbeit.

beispiel 4, dortmund – bayern: marc bartra, ein von mir sehr geschätzter innenverteidiger, darf bereits die halbzeit nach zwei klaren gelben karten nicht mehr erleben. in der vergangenheit wurden ähnliche fälle von ribery zum politikum, im zdf-sportstudio-aufbereitungsgeschwurbel fällt dieser umstand ebenso nahezu weg wie der dortmunder sieg auf eine unrealistische weise überhöht wird. es geht gar nicht mal um die frage, ob ein sieg verdient oder glücklich oder was auch immer ist, es geht um die analytisch klare, eben nicht populistische aufarbeitung eines spiels. und wenn diese aufarbeitung eine sportliche krise bei bayern will, wird diese krise trotz klarer dominanz und drei sehr guten chancen, lattenschuß inklusive (mehr gibt es in spielen zweier sehr guter mannschaften selten), eben auch in der analyse geschürt.
wahrheit ist: beide mannschaften hätten dieses spiel gewinnen können. es war eine taktisch herausragende, spielerisch sehr gute, für die zuschauer kurzweilige partie, die vor allem vier erkenntnisse brachte:
1) bayern dominiert über weite phasen des spiels auch in der post-guardiola-ära nahezu jeden gegner (das war auch gegen atletico so und selbst in den schwachen spielen gegen die eintracht, köln und hoffenheim). nicht, weil die gegner das zulassen, sondern, weil sie es selbst nicht anders können. das hat pep zum teil der spielerischen dna werden lassen. dennoch gibt es zwei negative entwicklungen, die auch sehr offensichtlich sind, denn…
2) …das bayern-spiel hat nach pep an gefährlichkeit eingebüßt, entsprechend fallen weniger tore. so wurden siege gegen hoffenheim und köln verschenkt. ja, richtig, man hätte gegen diese mannschaften auch noch späte gegentore kassieren können, wenn wir aber schon im konjunktiv sind, mit der gefährlichkeit der vorjahre hätten bayern auch späte tore nichts anhaben können, weil die führung zu diesem zeitpunkt deutlich hätte sein müssen. die gründe für diese entwicklung sind aus meiner sicht vielschichtig: müller und coman sind in schlechter verfassung, robben und costa waren verletzt bzw. sind es, es gibt wenig kontinuität auf den außenseiten.
3) die zweite negativ-entwicklung betrifft lustigerweise das defensive verschieben, dass unter ancelotti nicht mehr so gut funktioniert wie unter pep. „lustigerweise“, weil damit ein schickes klischee ad absurdum geführt wird: italienische coaches können vor allem defensiv alles. die gründe für die schlechtere defensive sind aus meiner subjektiven perspektive philipp lahm und xabi alonso, die sukzessive das für bayern nötige niveau verlieren und der umstand, dass mit renato sanches ein potenzieller backup die erwartete form nicht abrufen kann und vidal zu verletzungsanfällig ist. so gibt es in der balance zwischen defensive und offensive probleme, was bei spielanlagen wie der von bayern oder auch dortmund bisweilen schlimme folgen haben kann.
4) auch dortmund hat ein ernstzunehmendes, im grunde erstaunliches problem im defensiv-verhalten, das in der champions league zuletzt durch ein unterdurchschnittliches legia aufgedeckt wurde. diese schwächen entstehen nicht durch die gute arbeit von sokratis und das herausragende spiel von bartra (im vergleich der innenverteidiger gibt es auch eine fehlbewertung), sondern durch eine fehlende abstimmung bzw. ausgewogenheit im defensivverhalten der mittelfeldspieler, insbesondere auf den außenseiten. im direkten gegenpressing ist die bewegung der gesamten mannschaft überragend, sobald diese ballrückeroberungsmaschine aber mit einem langen ball überspielt ist, ist das defensivverhalten auffällig schwach. so konnte pep die duelle mit dem bvb zuletzt allesamt gewinnen. bei der qualität, die der bvb hat und den resultierenden ansprüchen wird diese schwäche in spielen gegen stärkere gegner oft entscheidend sein.

es gäbe allein vom vergangenen spieltag viele weitere beispiele, aber das soll auch kein buch werden…