Archiv der Kategorie: Vor dem Spiel ist nach dem Spiel

Spielunterbrechung

Liebe Freunde des gepflegten Rasensports,

mitunter kommt es anders als man denkt, rechnet, fühlt und überhaupt. Aufgrund eines wirklich schicken Buchprojekts müssen wir unter größten Herzschmerzen diesen Blog für eine gewisse Zeit ruhen lassen. Die Tinte unter dem Vertrag ist bereits getrocknet, allein die Umsetzung wird eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Daher handelt es sich um keine gewöhnliche Spielunterbrechung, es ist aber eine; der schwungvolle Tanz auf dieser Hochzeit ruht. Aber keine Angst, die verlorene Zeit wird nachgespielt. Versprochen! Und sicherlich länger als die obligatorischen drei Minütchen, die der gemeine deutsche Spielleiter dazu gibt.

In diesem Sinne: Wünscht uns Glück und Traumtore. Kreativität und langer Atem wären auch knorke.

Bis bald.

Realistischer Formcheck

Wer wissen will, wo die Bayern aktuell stehen, der hat beim Champions-League-Spiel gegen den AC Florenz hoffentlich ganz genau hingesehen. Nachdem die Euphorie ob der Bundesliga-Dominanz bei einigen realitätsblinden Beobachtern schon in den Himmel gewachsen war, zeigte die Fiorentina über weite Strecken des Spiels, wie leicht dem vermeintlichen Zauberfußball der „Bestia Negra“ der Zahn zu ziehen ist.

Bevor das Spiel in Hälfte zwei der Zerfahrenheit anheim fiel und von beiden Seiten zunehmende Härte die spielerischen Akzente ersetzte, zeigte sich dem geneigten Zuschauer eine Partie, die jedem Fußballlehrbuch zur Ehre gereicht hätte. Florenz spielte aggressives Forechecking, stand eng am Mann und stellte die Räume clever zu. Noch bemerkenswerter jedoch war das Spiel der Münchener Bayern. Der Gegner ließ spektakulären Hurra-Fußball nicht zu, also spielte man keinen Hurra-Fußball.

Hinter dieser lapidaren Aussage steckt ein beeindruckender taktischer Reifeprozess, den die Mannschaft unter der Ägide von Louis van Gaal durchlaufen hat. Die Souveränität und Gelassenheit, mit der man auf Münchener Seite den Ball durch die eigenen Reihen laufen ließ und geduldig auf die Lücke wartete, mag dem gemeinen Fan nicht schmecken, zeugt aber von taktischer Reife und gesteigerter Qualität. Noch unter Jürgen Klinsmann wäre man mit dem Kopf durch die Wand gerannt, um aufgrund des kräftezehrenden Spiels in der Schlussviertelstunde auseinanderzufallen.

An diesem so aufschlussreichen Mittwoch hingegen hatte man zu keiner Zeit das Gefühl, die Bayern könnten das Spiel verlieren. Lohn der Geduld – und somit folgerichtig – war der Führungstreffer zum Ende der ersten Halbzeit. Wo also steht der FC Bayern München nach dieser Halbzeit? Anders als in der Bundesliga kann der Gegner international nicht an die Wand gespielt werden, zumindest nicht über eine komplette Halbzeit. Gegen die Fiorentina , die man angesichts der Ergebnisse aus der Gruppenphase durchaus zur erweiterten Weltspitze zählen darf, reichte es aber zu einem deutlichen spielerischen Übergewicht, welches sich nicht nur, vielleicht nicht einmal in erster Linie, der individuellen Klasse verdankt, sondern einer klaren taktischen Handschrift. Diese Handschrift wurde – und das ist das eigentlich Bemerkenswerte – von der Mannschaft eine Halbzeit lang präzise umgesetzt. So intelligent hat man eine deutsche Vereinsmannschaft selten spielen sehen.

Sicher, noch passte nicht alles zusammen. In der Offensive fehlte der letzte Schliff (wo war eigentlich Müller?), Hälfte zwei zeigte phasenweise Rumpelfußball altdeutscher Schule und das positive Ergebnis kam letztendlich glücklich zustande. Dennoch: Diese Mannschaft ist auf einem guten Weg, der ihr mit einiger Wahrscheinlichkeit den nationalen Titel bescheren wird. International hängen die Trauben allerdings höher. Ein Champions-League-Sieg in dieser Saison kommt wohl zu früh. Wenn aber Louis van Gaal in Ruhe weiterarbeiten und die Mannschaft nach seiner Fasson umbauen darf, dann können Bayern-Fans bald wieder berechtigt träumen.

Die Heldenbäckerei

Es ist ja auch verständlich und lädt trotzdem nicht zu Nachsicht ein. Irgendwo zwischen dem Rücktritt von Franz Beckenbauer und dem Ausscheiden von Lothar Matthäus sind der Fußballnation die Helden abhanden gekommen. Und die deutsche Fußballseele lechzt nach Helden, die deshalb händeringend gesucht werden. Ballack taugt nicht; zu spröde der Charme, zu teutonisch die Auftritte auf dem Platz. Ein Philipp Lahm überzeugt als kreuzbraver Schwiegermutterschwarm („handsome“, würden die Tommys wohl sagen), hat sich für höhere Helden-Weihen aber spätestens seit seinem Werbeauftritt für Deutschlands heldenhafteste Zeitung disqualifiziert. So zieht die geifernde Medienmeute der Jubelperser weiter, immer auf der Suche nach einer neuen Sau, die durchs Dorf getrieben werden kann, nach einem neuen Opfer halbgarer Sympathiebekundungen.

Jetzt also Özil. Mesut mit Vornamen. Aber worüber reden wir denn hier? Wir reden über einen definitiv talentierten jungen Mann, der mit seinen 20 Lenzen jedoch kaum der Mutterbrust entwöhnt ist und jetzt ins kalte Haifischbecken des bundesdeutschen Fußballjournalismus geworfen wird. Unverhofft und fast ohne eigenes Zutun. Er hat ein (in Zahlen: 1) gutes Länderspiel gemacht. Meinetwegen auch ein sehr gutes. Er wird es möglicherweise noch bereuen.

Damit das nicht passiert, eine demütige Bitte: Ball flach halten, Kirche im Dorf lassen, Kuh vom Eis und so weiter. Jedenfalls keine Messias-Zuschreibungen an einen jungen Deutsch-Türken (oder Türken-Deutschen?), der – wenn man die Gebete vor Spielbeginn richtig interpretiert – mit diesen ob seines Glaubens ohnehin wenig anfangen kann. Wenn man ihn in Ruhe eine gute Saison beim SV Werder Bremen spielen lässt, wenn man ihm Zeit und Spielpraxis für eine gute Entwicklung gibt, kann ein sehr guter Spieler aus ihm werden, der auch der Nationalmannschaft weiterhelfen kann und wird. Bis dahin gilt: Setzen, Keks nehmen und wenn man es gar nicht mehr aushalten kann: Den alten Gerd-Müller-Schrein entstauben.

Blindheit auf höchstem Niveau

Das fussballgedanken-Team hat sich den besonderen Themen verschrieben, jenen Gesängen, die abseits der großen Fankurven ertönen. Und dennoch bleibt nicht jede thematische Versuchung, die direkt oder nicht so direkt durch Medienkollegen oder deren allesamt erfrischende Erzeugnisse an uns heran getragen wird, ohne Erfolg.

Blindheit hat als angedichtete, irgendwie wenig schmeichelhafte Eigenschaft auf und neben den Fußballplätzen dieser Welt eine lange Tradition. Meist ist es die fehlende räumliche und insbesondere emotionale Distanz, die zu einer gewissen Sehschwäche im Sinne von massiven Fehleinschätzungen führt. Mitunter ist das Leistungsvermögen der Gucklöcher durchaus bei einhundert Prozent, aber Fehlschaltungen auf dem Weg zum höher gelegenen Hirn führen zu dramatischen Leistungseinbrüchen. Im Grunde auch schnurzpiep.

Wir lassen uns erstmals hinreißen und reden über selbstbewusst und pausbäckig ausgelebte Blindheit auf höchstem Niveau. Möglicherweise sogar eine Blindheit mit weit um sich schlagender Inkubationskeule.

Das Eis ist dünn, zugegeben, aber betreten wir es mit dem Mute der Verzweiflung: Ein Großteil der ins Fußballgeschäft involvierten Journalistenkollegen sind entweder mit naiver Romantik ausgestattete, mitunter sogar wenig eloquente Nulpen oder sensationsgeile Rampensäue, die sich gerne im Lichte derer sonnen, die sie zwei Ausgaben und eine Sendung später verbal in die Wade beissen. Punkt. Blind, was die wahre Bedeutung, seine Interpretation, spieltechnisch und taktische, vor allem aber internationale Bedeutung dieses wunderbaren Sports angeht, ist hierzulande ein Gros der Kollegen. Leider.

Man könnte es den Töpperwien- oder Faßbender-Effekt nennen, aber bei diesen verbal wie handwerklich eher unterdurchschnittlichen Vertretern des deutschen Sportjournalismus ist wenigstens Herzblut im Spiel. Denn: Passion vermag einiges zu kompensieren, allerdings bei weitem nicht jeden Schnitzer, wie der angesprochene ZDF-Kollege unlängst mit seinem Spielbericht aus Mainz (2:1 gegen den FC Bayern) für das Sportstudio unter Beweis stellte: Genie und Wahnsinn eng beieinander, viel zu eng für meinen Geschmack. Spielbericht eine mittelschwere Katastrophe, die Interviews hingegen große Klasse.

Weil wir Töppi am Ende des Tages ob seiner Liebe zum Ball mögen und ihm auch den Stadionsprecher für den 1. FFC Frankfurt verzeihen, gibt es hier das gelungene Interview mit dem westfälischen Lautsprecher in Bayern-Kreisen, Herrn Karlheinz Rummenigge, als Zeichen unseres Respekts, trotz, naja, Sie wissen schon…

Fragen bleiben dennoch. Viele. Wann wird die schreibende, filmende und jederzeit fleißig fragende Menschenschar hierzulande begreifen, dass es Gesetzmäßigkeiten im Fußball gibt? Dass Hierarchie offensichtlich nur in Deutschland eine Rolle spielt und bei einem Gegentor nicht zwingend die Defensivreihe Schuld trägt? Wann werden sie lernen, Leistungen korrekt einzuschätzen und trotz kindlicher Begeisterung Spiele realistisch abzubilden? Wann schweift der Blick mal hinaus über diesen doch sehr beschränkten deutschen Horizont mit Abstechern auf die heiß geliebte Insel, deren Leistungsdichte ohne Zweifel unter jener der Bundesliga liegt? Warum räumt das DSF Sonntag für Sonntag nachhaltigen Dummschwätzern kostbare Sendezeit ein, die einen Juan Arango nicht kennen, aber Mario Gomez auf europäischem Niveau sehen?

Einer nicht zu leugnenden Mehrheit im deutschen Fußballjournalismus mag es irgendwie schon auch um diesen Sport zu gehen. Begriffen aber haben sie nichts. Es geht nicht um Ohrfeigen, die ein überschätzter Kölner Fußballspieler in latentem Mangel an Hirnleistung seinem Capitano mitgibt. Es geht nicht um all das Beiwerk, gescheite, von praxisfernen Dozenten an Journalisten- oder anderen Hochschulen vorformulierte Fragen an schwitzende Akteure, fünfzehn Sekunden nach Abpfiff.

Es geht um Seriosität, auch um Leidenschaft, insbesondere aber um Hingabe, um mit geschulten Augen und klopfendem Herzen diesen Sport und seine Akteure richtig zu begreifen und dann medial zu transportieren. Es geht um die richtigen Kommentare zur richtigen Zeit. Um plausible Nachrichtenwerte für sauber recherchierte Geschichten. Um erweiterte Horizonte. Die Wahrheit liegt immer auf dem Platz, nie in einer schicken Media Lounge, beim Klasse-Italiener um die Ecke oder auf dem beheizten Trainingsgelände.

Natürlich funktioniert ein guter Journalist in der geliebten Fußballwelt weniger abstrakt. Im Grunde aber treffen diese Beschreibung den Kern des Jobs und sie zeigen, was all den vermeintlichen Experten fehlt.

Kopf und Herz benötigten weitere unzumutbare Kapazitäten, um alle thematisch relevanten Inhalte zu journalistischen Fehlleistungen in deutsche Land zu konstatieren. Das aber wird weder diesem Medium unserer Wahl gerecht, noch verändert es die Tatsache, dass ausgerechnet die bedenklichsten Fälle wegen ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten direkt zur Ausbildung von Nachwuchskräften heran gezogen werden oder wenigstens wurden: bei Michael Steinbrecher ist das unter Umständen mit vielen zugedrückten Augen gerade noch nachvollziehbar, was ein Boris Büchler an der Sporthochschule Köln vermittelte, soll mir unbedingt insbesondere im Detail verborgen bleiben. Vielleicht liefert er seinen ehemaligen Schützlingen Woche für Woche aber auch anschauliches Bildmaterial dafür, wie Journalismus im Fußball nicht geht. Wieder einmal muss man Uli Hoeneß zustimmen, ob gewollt oder nicht.

Warum sich einige Funktionäre überlegt haben, Steffen Simon könne bedenkenlos auf ein Millionenpublikum losgelassen werden, wird mir auch für immer verborgen bleiben. Vielleicht sind sie gut versichert. Auch dem guten alten Poschi sollte man mal stecken, dass er nur zu Leichtathletikveranstaltungen Sportarenen betreten sollte. Über die Printjungs kommen mir die Tränen: Die sportjournalistischen Erzeugnisse der Springer-Presse verdienen nicht einmal Beleidigungen. In der Seele aber tut mir weh, wie schlecht der altehrwürdige kicker tatsächlich ist; auch, weil dort mit Jörg Jakob einer in der Chefetage sitzt, der die gleichen Wurzeln hat wie ich.

Hoffnung keimt bei 11FREUNDE und der Frankfurter Rundschau: Viel Herz, viel Leidenschaft, einige Fehleinschätzung und dennoch ein gutes Gespür für Geschichten.

Und überhaupt: Nicht in die Pfanne hauen wollen wir, vielmehr sensibilisieren für die wahren Nachrichtenwerte, relevanten Informationen und internationalen Perspektiven des Fußballs im 21. Jahrhundert und davor. Uns stellt sich die Frage, wie lange sich ein derart professionell und attraktiv agierender Fußballsport in Deutschland ein in der Mehrheit derart unprofessionelles und unattraktives Journalistenkollektiv leisten kann; von wollen kann unter den Voraussetzungen geistiger Unversehrtheit bei den Betroffenen keine Rede sein.

Apropos Hoeneß, war der nicht eben erwähnt: Wir vergeben in dieser Woche noch eine zweite Nuss für Blindheit auf hohem, ja, höchstem Niveau. Das jedoch, nachdem wir einen großen, dicken Hut mit vielen Würsteln drin vor Uli Hoeneß’ Leistungen für seinen geliebten FC Bayern in den vergangenen dreißig Jahren gezogen haben. Gut. Erledigt.

Zu reden hätten wir aber noch ein wenig über die Transfers in den vergangenen beiden Jahren, die durchaus auch wenig clevere Zeitgenossen mit bedenklich trübem Blick für die aktuelle sportliche Misere verantwortlich machen.

Man könnte gar auf die Idee kommen, dass selbst eine Mannschaft wie Bayern München an Schrecken verliert, wenn Leistungsträger verkauft werden und kein gleichwertiger Ersatz das Bazi-Trikot überstreift. Aus der „bestia negra“ ist ein Zahn- und Mähnen loser Altlöwe geworden, den auch frisches holländisches Blut nicht wieder dauerhaft zu jugendlichen Glanztaten motivieren wird.

Vielleicht aber auch spekuliert man an der Säbener Straße darauf, große Schlachten in der Champions League wie etwa gegen Juventus Turin mit der Taktik für sich zu entscheiden,  vorne ein Tor mehr zu schießen als hinten zu kassieren. Klartext: Es brauchte keinen weiteren Flügelstürmer, obwohl Robben zweifelsohne seinen Reiz hat. Diese Mannschaft ist angesichts eigener und fremder Erwartungshaltung dringend auf einen hervorragenden Torwächter (guten Tag, Herr Netzer), einen Innenverteidiger von internationalem Format (Lucio), einen weiteren Außenverteidiger (Juan Vargas) und insbesondere einen Spielmacher (es gibt sie noch und sie sind wichtig) sowie einen zusätzlichen kreativen Mittelfeldakteur angewiesen.

Immerhin verriet der neue Coach mehr oder weniger ungefragt, dass er mit den diesjährigen Transfers wenig zu tun habe. Gute Sache. Wusste in dem Moment nicht, ob ich lachen oder weinen muss.

Wir warten ab, erfreuen uns am Spiel und hoffen, dass die Sportkameraden Lahm und Schweinsteiger nach der Saison endlich über ausreichend männliche Härte verfügen, um ins Ausland zu wechseln.