Realistischer Formcheck

Wer wissen will, wo die Bayern aktuell stehen, der hat beim Champions-League-Spiel gegen den AC Florenz hoffentlich ganz genau hingesehen. Nachdem die Euphorie ob der Bundesliga-Dominanz bei einigen realitätsblinden Beobachtern schon in den Himmel gewachsen war, zeigte die Fiorentina über weite Strecken des Spiels, wie leicht dem vermeintlichen Zauberfußball der „Bestia Negra“ der Zahn zu ziehen ist.

Bevor das Spiel in Hälfte zwei der Zerfahrenheit anheim fiel und von beiden Seiten zunehmende Härte die spielerischen Akzente ersetzte, zeigte sich dem geneigten Zuschauer eine Partie, die jedem Fußballlehrbuch zur Ehre gereicht hätte. Florenz spielte aggressives Forechecking, stand eng am Mann und stellte die Räume clever zu. Noch bemerkenswerter jedoch war das Spiel der Münchener Bayern. Der Gegner ließ spektakulären Hurra-Fußball nicht zu, also spielte man keinen Hurra-Fußball.

Hinter dieser lapidaren Aussage steckt ein beeindruckender taktischer Reifeprozess, den die Mannschaft unter der Ägide von Louis van Gaal durchlaufen hat. Die Souveränität und Gelassenheit, mit der man auf Münchener Seite den Ball durch die eigenen Reihen laufen ließ und geduldig auf die Lücke wartete, mag dem gemeinen Fan nicht schmecken, zeugt aber von taktischer Reife und gesteigerter Qualität. Noch unter Jürgen Klinsmann wäre man mit dem Kopf durch die Wand gerannt, um aufgrund des kräftezehrenden Spiels in der Schlussviertelstunde auseinanderzufallen.

An diesem so aufschlussreichen Mittwoch hingegen hatte man zu keiner Zeit das Gefühl, die Bayern könnten das Spiel verlieren. Lohn der Geduld – und somit folgerichtig – war der Führungstreffer zum Ende der ersten Halbzeit. Wo also steht der FC Bayern München nach dieser Halbzeit? Anders als in der Bundesliga kann der Gegner international nicht an die Wand gespielt werden, zumindest nicht über eine komplette Halbzeit. Gegen die Fiorentina , die man angesichts der Ergebnisse aus der Gruppenphase durchaus zur erweiterten Weltspitze zählen darf, reichte es aber zu einem deutlichen spielerischen Übergewicht, welches sich nicht nur, vielleicht nicht einmal in erster Linie, der individuellen Klasse verdankt, sondern einer klaren taktischen Handschrift. Diese Handschrift wurde – und das ist das eigentlich Bemerkenswerte – von der Mannschaft eine Halbzeit lang präzise umgesetzt. So intelligent hat man eine deutsche Vereinsmannschaft selten spielen sehen.

Sicher, noch passte nicht alles zusammen. In der Offensive fehlte der letzte Schliff (wo war eigentlich Müller?), Hälfte zwei zeigte phasenweise Rumpelfußball altdeutscher Schule und das positive Ergebnis kam letztendlich glücklich zustande. Dennoch: Diese Mannschaft ist auf einem guten Weg, der ihr mit einiger Wahrscheinlichkeit den nationalen Titel bescheren wird. International hängen die Trauben allerdings höher. Ein Champions-League-Sieg in dieser Saison kommt wohl zu früh. Wenn aber Louis van Gaal in Ruhe weiterarbeiten und die Mannschaft nach seiner Fasson umbauen darf, dann können Bayern-Fans bald wieder berechtigt träumen.

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