Systemkonkurrenz

Keine Angst, der Kalte Krieg ist tatsächlich vorbei und wird auch für diesen kleinen Artikel nicht wieder auferstehen. Schließlich geht es hier um Fußball. Der Krieg der Welten beschränkt sich deshalb auf zwei Spielarten des klassischen 4 – 4 – 2, wobei jüngste Entwicklungen beinahe von einer Trendwende sprechen lassen könnten.

Die im Mittelfeld lange Zeit vorherrschende Raute, die mit zentral-defensivem Mittelfeldspieler, zwei Flügelspielern und einem Mann in der offensiven Zentrale dem 4 – 4 – 2 überhaupt erst zum Siegeszug verholfen (und den Libero in den wohlverdienten Ruhestand geschickt) hatte, ist in die Defensive geraten; in die Zange genommen von zwei Sechsern, wenn man so will. Naja, ganz so weit ist es noch nicht, aber die traditionelle Rautendominanz bröckelt doch immerhin. Die Idee, zwei defensive Mittelfeldspieler vor die Abwehrkette zu stellen, ist wahrlich nicht neu. Neu ist hingegen, wie viele Mannschaften mit ihr agieren wollen oder sich zumindest diese Option offen halten.

Stuttgart, Berlin, Hamburg, Köln, Freiburg, Mainz, optional Hoffenheim und die Münchner Bayern, wo Neuzugang Tymoshchuk statt rechts in der Raute auch auf der Sechs neben Van Bommel spielen könnte, heißen die wackeren Gallier, die gegen die Rauten-Phalanx zu Felde ziehen. Selbst Rautenkönig Thomas Schaaf hat in Bremen nach langen Jahren des gepflegten Viereck-Fußballs dem neuen System zumindest vorerst das Ja-Wort gegeben. Nach dem Weggang von Diego und mangels adäquatem Ersatz steht aber zu vermuten, dass es sich hier eher um eine Zwangsehe als um eine Liebesheirat handelt.

Dass sich die Option mit der Doppel-Sechs in der neuen Saison solch unverhoffter Beliebtheit erfreut, liegt vermutlich nicht zuletzt an Markus Babbel. Ob die Umstellung auf den Zwei-Mann-Riegel vor der Abwehr nach seinem Amtsantritt beim VfB auf die aktive Zeit als Toreverhinderer zurückgeht, ist nicht bekannt. Fest steht jedenfalls, dass mit zwei Sechsern mehr Stabilität ins schwäbische Spiel einkehrte – und der Erfolg. Die Vorteile des Systems ließen sich am VfB exemplarisch beobachten. Die Arbeitsteilung auf der defensiven Mittelfeldposition entlastet die Viererkette, was neben dem offensichtlichen Stabilitätsgewinn offensive Räume für die Außenverteidiger schafft und eine rein offensive Besetzung der Flügel ermöglicht. Überhaupt muss attestiert werden, dass die Doppel-Sechs nicht nur defensiv effektiv ist, sondern bei cleverer Umsetzung auch im Angriff von Vorteil sein kann. Das setzt voraus, dass die Mittelfeldspieler, vor allem die Sechser, aufmerksam verschieben und letztere ihr Spiel flexibel aufeinander und auf die Spielsituation abstimmen. Mit dieser Abstimmung steht und fällt das gesamte Spiel. Wenn es gelingt, die ständige Rochade zum System zu machen; wenn beide Sechser intelligent und spielstark genug sind, um sich Angriffs- und Abwehrarbeit zu teilen, ist – im Optimalfall – die Mannschaft sowohl offensiv schwer auszurechnen als auch abwehrstark. Der VfB hat das in der vergangenen Rückrunde mit einigem Erfolg praktiziert, als Hitzlsperger, der starke Khedira und zunehmend auch Martin Lanig gut harmonierten und sich abwechselnd in die Offensive einschalteten. So ist es nicht abwegig zu vermuten, dass dieser erfolgreiche Anschauungsunterricht durch den VfB, der bewies, dass die Doppel-Sechs nicht mehr nur etwas für Maurer und andere Handwerker ist, zum Umdenken bei den Trainerkollegen führte.

Dass das neue Trend-System bei mangelhafter Abstimmung jedoch durchaus seine Tücken hat, durfte der aufmerksame Beobachter am Montag am Beispiel des HSV beobachten. Gegen Zweitliga-Aufsteiger Düsseldorf offenbarten die Hamburger im DFB-Pokalspiel ungeahnte Defensivschwächen – ausgehend von der Sechser-Position.

Zé Roberto, der den offensiven Sechser-Part übernahm, vergaß ob einiger schöner Angriffsaktionen augenscheinlich seine Aufgaben in der eigenen Hälfte. Nebenmann Tesche war von der alleinigen Bewältigung der Staubsaugerrolle weitgehend überfordert, wodurch sich immer wieder riesige Lücken vor der Viererkette auftaten. Dass diese in der ersten Halbzeit wiederholt schlecht aussah, lag demnach nicht nur an Abstimmungsproblemen der Innenverteidiger und einem wiederholt indisponierten Demel auf der rechten Abwehrseite, sondern in erster Linie an der strukturellen Überforderung, die ihren Ursprung im Mittelfeld hatte.

Dass der HSV-Motor ausgerechnet gegen einen unterklassigen Gegner noch ein wenig stotterte, ändert nichts an der Tatsache, dass der Sportverein aus Hamburg zu den heißesten Anwärtern auf den Meistertitel gehört. Zumindest auf den inoffiziellen im Herbst. Mit der Rückkehr von Jarolim wird die defensivere Sechser-Position solider besetzt sein als mit dem jungen Tesche. Dass Zé Roberto sich vermehrt in die Offensive einschaltet, ist dann kein Makel mehr, sondern hat System. Mit Eljero Elia hat der HSV in der Sommerpause zudem den verheißungsvollsten Transfer aller Bundesligisten getätigt und sich in der Offensive substantiell verstärkt. Wie sich Marcus Berg einfügen wird, muss sich erst zeigen. Trotzdem: Wer redet noch von Olic?

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